"Oft wissen die Hände ein Geheimnis zu enträtseln,
an dem der Verstand sich vergebens mühte."

Carl Gustav Jung

Integratives Sandspiel

Das integrative Sandspiel wurde von Dora M. Kalff  (1904-1990) auf der Grundlage der Erkenntnisse und der analytischen Psychologie von C.G. Jung entwickelt.
Es handelt sich dabei um ein tiefenpsychologisches Verfahren, das diagnostisch und therapeutisch bei Kindern, Jugendlichen sowie bei Erwachsenen jeden Alters zur Anwendung kommt, um die Selbstheilungskräfte und den Individuationsprozess der Seele anzuregen und zur Entfaltung zu bringen. Man geht davon aus, dass das Selbst von Geburt an in der Lage ist, den psychischen Entwicklungsprozess sinnvoll zu dirigieren.

Durchführung
Beim integrativen Sandspiel gestaltet das Kind, der Jugendliche oder der Erwachsene dreidimensionale Szenen in einem Sandkasten in Tischhöhe, der in seiner Ausdehnung etwa dem Blickfeld eines Menschen entspricht. Zum wahlweise trockenen oder feuchten Sand (der Gestaltende  kann Wasser verwenden) wird eine Vielfalt und Vielzahl von offen in Regalen stehenden kleinen Figuren aus allen Bereichen des Lebens angeboten.
Der Gestaltende kann nun mit diesen angebotenen Materialien (meist ohne Vorgabe eines Themas) ein Bild nach Belieben gestalten.
Die blaue Grundfläche des Kastens erleichtert die Darstellung von Wasser – z.B. als Flüsse und Meere, während das standardisierte Kastenmaß als ordnender und schützender Faktor wirksam ist.
Sand als reine Materie der Natur ist in Verbindung mit Wasser ein ideales Bau- und Formmaterial. Man kann damit spielend und ohne jegliches Können gestalten und durch das konkrete In-die-Hand-Nehmen und Bearbeiten des Sandes direkt Kontakt mit den inneren Welten aufnehmen.

Wichtig ist, dass der Therapeut während der Gestaltung den Prozess mit höchster Aufmerksamkeit und ohne sprachliche Äußerungen begleitet. Wesentlich dabei ist zudem, dass der Therapeut in dieser Begleitung eine positive, stärkende innere Haltung einnimmt und beibehält.  Für den Gestaltenden ist es von absoluter Wichtigkeit, dass ein freier und geschützter Raum gegeben ist, der es ihm erleichtert, auch unbewusste, konflikthafte Inhalte darzustellen.
Es wird so lange nicht gesprochen, bis der Gestaltende von sich aus sagt, dass sein Bild nun fertig ist. Dann wird das Sandbild nicht mehr verändert. Jetzt ist es Aufgabe des Therapeuten, das Bild so genau wie möglich zu beschreiben (beschreiben – nicht interpretieren!!!).

Wirkung
Die spontan entstehenden symbolischen Gestaltungen im Sandfeld werden als Ausdruck bewusster und unbewusster seelischer Bilder, Gefühle und Konflikte verstanden, die oft tiefen Schichten der menschlichen Psyche entstammen. Durch die Haltung des Therapeuten entsteht sowohl ein freier wie auch geschützter Raum, in dem das Kind, der Jugendliche wie auch der Erwachsene die Möglichkeit hat, sich auszudrücken. Da seelische Kräfte sich dort entfalten können, wo ein freier und doch geschützter Raum hergestellt ist, ermöglicht das Gestalten und Erleben dieser Sandbilder die Lösung von inneren Spannungen und setzt Energien für einen ganzheitlichen Heilungs- und Entwicklungsprozess frei. Es wird ein Prozess initiiert, in welchem die unbewusste Ganzheit der Psyche die Führung im Heilungsgeschehen übernimmt. Da sich das Unbewusste kompensatorisch zum Bewusstsein verhält, erwachen vom Bewusstsein abgelehnte oder zu wenig wahrgenommene Inhalte unter den Händen des Sandspielers zu neuem Leben. Durch das Beschreiben wird das Entstandene gewürdigt und wahrgenommen - und da es nicht gedeutet wird, erfährt der Gestalter, dass die Darstellung und sein Erleben richtig sind. Es bestätigt die Identifikation mit dem eigenen Werk und verbessert die Akzeptanz und den Kontakt zwischen Bewusstsein und Unbewusstem. Die Psyche erfährt dadurch eine wesentliche Bereicherung und Entlastung.

Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Therapeuten, diesen Prozess verstehend und stützend zu begleiten, sowie die dargestellten psychischen Inhalte im Schutze des Unbewussten zu belassen. Das erfordert vom Therapeuten weitgehend Verzicht auf aufdeckende Interpretation. Der psychische Heilungsprozess ist an den fotografisch dokumentieren Sandbildern ablesbar, da der Therapeut nach der Beschreibung jedes Sandbild fotografiert und das Foto gut aufbewahrt. Der Gestaltende erhält ebenfalls ein Foto seines Sandbildes, wenn dies gewünscht ist. Ob er das Foto anderen zeigen will oder nicht, ist dann allein seine Entscheidung.
Interessant für den Therapeuten ist schlussendlich, die Serie von Bildern zu betrachten; häufig werden gleiche Symbole verwendet, die teilweise ihre Positionen verändern - Veränderungen, die dann bei genauerer Betrachtung auch beim Gestalter selbst feststellbar sind ...

Karin Müller